Gast oder Arbeiter?

 

Immer wieder hat unsere Sprache neue Worte hervorgebracht, verwirrend und irreführend. Sind/waren Gastarbeiter also Gäste? Nein, es waren vor allem Arbeiter. Der Begriff löste das NS-Wort „Fremdarbeiter“ ab, das waren oft Zwangsarbeiter. Dabei sind Auswanderung aus Erwerbsgründen älter als der Sklavenhandel und so verschieden motiviert wie die Besiedlung der USA und dem Pendeln der Schwabenkinder aus der Schweiz. Übermut war es selten.

Neu war in dem Fall der Gastarbeiter die staatliche Vertragssituation. Sie begann mit dem ersten Anwerbeabkommen von 1955 mit Italien, das betraf in Großauheim besonders die „Gipsifiguri“, Kunsthandwerker für die Gusskerne der Marienhütte. Dann folgten 1960 Spanien und Griechenland.

Einwanderer aus den deutschen Ostgebieten, die ja auch oft aus materiellen Gründen übersiedelten, hatten keinen befristeten Gastvertrag, sondern blieben dauerhaft, waren aber sehr willkommene Arbeitnehmer.

Nach dem Mauerbau 1961 fehlten sie und es folgten weitere Anwerbeabkommen mit der Türkei (1961), Marokko (1963), Südkorea (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und zuletzt mit Jugoslawien (1968).

Gesucht wurden in der Regel ungelernte Arbeiter für die schmutzigsten und schwersten Arbeiten im Schicht- und Akkordbetrieb. Sie arbeiteten in Großauheim besonders in der BBC, der Marienhütte, dem Bautz.

Während sie auf der einen Seite deutlich zum Wohlstand beitrugen, drückten auf der anderen Seite ihre billigen Löhne erheblich auf das Lohnniveau des unteren Sektors.

Sie wohnten in den billigsten Wohnungen, zunächst in Werksbarracken. Dort entstand von einem Arbeiter der Augenzeugenbericht „Barraca 5“. Das Buch wird eine wichtige Rolle in der neuen Ausstellung im Großauheimer Museum haben, in dem es um diese ersten ausländischen Arbeiter der jungen Bundesrepublik geht.

„Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen.“ schrieb Max Frisch sehr treffend.

Von Anfang an gab es Angst vor Überfremdung und Verlust der eigenen Identität auf beiden Seiten. Es bildeten sich innerhalb der neuen Gemeinde der Club Recreativo, eigene Gottesdienste, Wohnraumballungen in den alten Fachwerkhäusern des alten Ortskerns. Es dauerte Jahre, als dann besonders im Rahmen des Familiennachzugs die Bevölkerungsgruppen aufeinander zugingen. Dabei spielte der Fußball, die um sich greifende Gastronomie und die Urlaubsreisen der Deutschen eine wesentliche Rolle.

 

Die neue Ausstellung in unserem Museum in Zusammenarbeit mit der Lindenau-Schule geht zum Beginn der großen Einwanderung, die Enkel fragen ihre Großeltern damit die Spuren nicht verwehen. Der Heimat- und Geschichtsverein beteiligt sich an der Ausstellung und empfiehlt den Besuch. Das Buch „Barraca 5“ wurde inzwischen übersetzt und gibt wertvolle Einblicke. Viele sind integriert, haben eingeheiratet und die Mehrheitsgesellschaft hat sich gewandelt in ihren Angewohnheiten (Essen z.B.). Viele Spanier sind am Ende ihres Arbeitslebens zurückgezogen, aber ihre Kinder blieben in Deutschland, so dass sie häufig zwischen beiden Heimaten pendeln.